Bekanntmachungen
Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung
[1684 A]
Bekanntmachung des Bundesausschusses der
Ärzte und Krankenkassen über eine Änderung der Richtlinien
über die Bewertung Ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
gemäß § 135 Abs. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch
(BUB-Richtlinien)
Vom 28. Oktober 2002
Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hat in seiner Sitzung am 28. Oktober 2002 beschlossen, die BUB-Richtlinien in der Fassung vom 10. Dezember 1999 (BAnz. 2000 S. 4602), zuletzt geändert am 21. Juni 2002 (BAnz. S. 22 478), wie folgt zu ändern: Nummer 2 der Anlage A (Anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden) der BUB-Richtlinien erhält folgende Fassung:
2. Substitutionsgestützte Behandlung Opiatabhängiger
Präambel
Krankenbehandlung im Sinne des § 27 SGB V umfasst auch die Behandlung von Suchterkrankungen. Das alleinige Auswechseln des Opiats durch ein Substitutionsmittel stellt jedoch keine geeignete Behandlungsmethode dar und ist von der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht umfasst. Oberstes Ziel der Behandlung ist die Suchtmittelfreiheit. Ist dieses Ziel nicht unmittelbar und zeitnah erreichbar, so ist im Rahmen eines umfassenden Therapiekonzeptes, das auch, soweit erforderlich, egleitende psychiatrische und/oder psychotherapeutische Behandlungs- oder psychosoziale Betreuungs-Ma§nahmen mit einbezieht, eine Substitution zulässig. Eine Leistungspflicht der Krankenkassen für die begleitende psychiatrische und/oder psychotherapeutische Betreuung besteht nur insoweit, als diese zur Krankenbehandlung erforderlich ist. Die nach der Betubungs- mittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) vorgesehene psychosoziale Betreuung fällt nicht unter die Leistungspflicht der GKV.
§ 1 Inhalt
Die Richtlinie regelt die Voraussetzungen zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung (im Folgenden "Substitution") bei manifest Opiatabhängigen in der vertragsärztlichen Versorgung. Die Richtlinie gilt für alle Substitutionen, unabhängig davon, mit welchen nach der BtMVV zugelassenen Substitutionsmitteln sie durchgeführt werden. Als manifest opiatabhängig im Sinne dieser Richtlinie gelten auch solche Abhängige, die bereits mit einem Drogenersatzstoff substituiert werden. Neben den Vorgaben dieser Richtlinie sind die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere des Betäubungsmittelgesetzes und der BtMVV zu beachten
§ 2 Genehmigungspflicht für die substituierenden Ärzte
In der vertragsärztlichen Versorgung dürfen Substitutionen nur von solchen Ärzten durchgeführt werden, die gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) ihre fachliche Befähigung gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 BtMVV nachgewiesen haben und denen die KV eine Genehmigung zur Substitution erteilt hat.
§ 3 Indikation
(1) Die Substitution kann nur als Bestandteil eines
umfassenden Therapiekonzeptes durchgeführt werden zur
1. Behandlung einer manifesten Opiatabhängigkeit mit dem Ziel der
schrittweisen Wiederherstellung der Betäubungsmittelabstinenz
einschließlich der Besserung und Stabilisierung des Gesundheitszustandes,
2. Unterstützung der Behandlung einer neben der Opiatabhängigkeit
bestehenden schweren Erkrankung oder
3. Verringerung der Risiken einer Opiatabhängigkeit während einer
Schwangerschaft und nach der Geburt.
(2) Bei Vorliegen einer manifesten Opiatabhängigkeit ist eine Substitution
dann indiziert, wenn die Abhängigkeit seit längerer Zeit besteht und
1. wenn Abstinenzversuche unter ärztlicher Kontrolle keinen Erfolg
erbracht haben oder
2. wenn eine drogenfreie Therapie derzeit nicht durchgeführt werden kann
oder
3. wenn die substitutionsgestützte Behandlung im Vergleich mit anderen
Therapiemglichkeiten die größte Chance zur Heilung oder
Besserung bietet.
(3) Bei einer erst kürzer als zwei Jahre bestehenden
Opiatabhängigkeit sowie bei Opiatabhängigen, die das 18. Lebensjahr
noch nicht vollendet haben, erfolgt eine Überprüfung nach § 9
Abs. 4. In diesen Fällen ist die Substitution in der Regel nur als
zeitlich begrenzte Maßnahme zum Übergang in eine drogenfreie
Therapie zulässig.
(4) Das umfassende Therapiekonzept beinhaltet:
1. eine ausführliche Anamnese (insbesondere Suchtanamnese) mit Erhebung
relevanter Vorbefunde, insbesondere über bereits erfolgte Suchttherapien,
sowie über parallel laufende Mitbehandlungen bei anderen Therapeuten,
2. eine körperliche Untersuchung (einschließlich Urinanalyse) zur
Sicherung der Diagnose der manifesten Opiatabhängigkeit und zur Diagnostik
des Beigebrauchs,
3. die Abklärung ggf. vorliegender Suchtbegleit- und
Suchtfolgeerkrankungen,
4. eine sorgfältige Abwägung, ob für den individuellen Patienten
eine drogenfreie oder eine substitutionsgestützte Behandlung angezeigt
ist,
5. die Ermittlung des Hilfebedarfs im Rahmen der psychosozialen Betreuung durch
eine psychosoziale Drogenberatungsstelle,
6. die Erstellung eines individuellen Therapieplans, der enthält
a) die zeitliche und qualitative Festlegung der Therapieziele,
b) die Auswahl und die Dosierung des Substitutionsmittels,
c) ein Dosierungsschema, das ggf. auch die Art der Reduktion und den Zeitraum
des allmählichen Absetzens des Substitutionsmittels festlegt,
d) sowie die im Einzelfall erforderlichen psychosozialen
Betreuungsmaßnahmen und/oder ggf. psychiatrische und psychotherapeutische
Behandlungsmaßnahmen,
7. Verlaufs- und Ergebniskontrollen einschließlich unangekündigter
Beigebrauchskontrollen,
8. den Abschluss einer Behandlungsvereinbarung mit dem Patienten.
(5) Der substituierende Arzt überprüft und dokumentiert
regelmäßig die Fortschritte des Patienten hinsichtlich der Ziele der
Substitutionsbehandlung sowie der weiteren medizinischen Ma§nahmen des
vorgesehenen Therapiekonzeptes und nimmt ggf. erforderliche Anpassungen vor.
Insbesondere ist kritisch zwischen den Vor- und Nachteilen einer
Fortführung der Substitution gegenüber dem Übergang in eine
drogenfreie Behandlung abzuwägen. Bei Beigebrauch ist wegen der damit
möglicherweise verbundenen lebensbedrohlichen Gefährdung eine
sorgfältige individuelle Risikoabwägung zwischen Fortführung und
Beendigung der Substitution vorzunehmen.
§ 4 Ausschlussgründe
Eine Substitution darf nicht durchgeführt werden, wenn und solange
1. der Substitution medizinisch allgemein anerkannte Ausschlussgründe entgegenstehen, wie z. B. eine primäre/hauptsächliche Abhängigkeit von anderen psychotropen Substanzen (Alkohol, Kokain, Benzodiazepine etc.) oder
2. der Patient Stoffe gebraucht, deren Konsum nach Art und Menge den Zweck der Substitution gefährdet.
§ 5 Meldeverfahren
zur Vermeidung von Mehrfachsubstitutionen Der substituierende Arzt hat gemäß § 5a BtMVV zur Vermeidung von Mehrfachsubstitutionen dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nach einem dazu von diesem festgelegten Verfahren unverzüglich Meldung über Substitutionen zu erstatten.
§ 6 Zugelassene Substitutionsmittel
Zur Substitution in der vertragsärztlichen Versorgung darf der Arzt nur solche Substitutionsmittel verwenden, die gemäß der BtMVV für diesen Bestimmungszweck zugelassen sind. Zur Wahrung des Wirtschaftlichkeitsgebotes hat der Arzt gemäß den Arzneimittel-Richtlinien grundsätzlich das kostengünstigste Substitutionsmittel in der preisgünstigsten Darreichungsform zu verwenden. In den von der BtMVV vorgesehenen anders nicht behandelbaren Ausnahmefällen kann von diesem Grundsatz abgewichen werden.
§ 7 Dokumentation, Anzeigeverfahren
(1) Bei Einleitung einer Substitution dokumentiert und
begründet der Arzt die festgestellte medizinische Indikation und die im
Rahmen des umfassenden Therapiekonzepts vorgesehenen weiteren medizinischen
Behandlungsma§nahmen gemäß § 3. Darüber hinaus ist in
der Dokumentation anzugeben, durch welche Stelle die begleitende psychosoziale
Betreuung durchgeführt wird. Eine aktuelle schriftliche Bestätigung
der psychosozialen Beratungsstelle über die Aufnahme oder die
Fortführung einer psychosozialen Betreuung ist der Dokumentation
beizufügen. Ist ausnahmsweise keine psychosoziale Betreuung erforderlich,
ist dies durch die psychosoziale Beratungsstelle schriftlich zu
bestätigen.
(2) Beginn und Beendigung einer Substitution hat der Arzt unverzüglich der
zuständigen KV und der leistungspflichtigen Krankenkasse anzuzeigen.
Hierzu hat der Arzt zu Beginn der Behandlung eine schriftliche
Einverständniserklärung des Patienten einzuholen.
(3) Liegen einer Krankenkasse oder einer KV Informationen vor, dass ein Patient
durch mehrere Ärzte substituiert wird, so benachrichtigen sie alle
beteiligten Ärzte sowie die Qualitätssicherungskommission, um eine
Mehrfachsubstitution zu verhindern. Die Ärzte legen unter Beteiligung des
Patienten schriftlich fest, welcher Arzt die Substitution durchführt. Die
leistungspflichtige Krankenkasse und die Beratungskommission der KV sind
entsprechend zu benachrichtigen.
§ 8 Abbruchkriterien zur Substitution
Bei Vorliegen folgender Voraussetzungen ist die
Substitution zu beenden:
1. gleichzeitige Substitution durch einen anderen Arzt, sofern die
Mehrfachsubstitution nicht nach § 7 Abs. 3 einvernehmlich eingestellt
wird,
2. nicht bestimmungsgemäße Verwendung des Substitutionsmittels,
3. Ausweitung oder Verfestigung des Gebrauchs von Suchtstoffen neben der
Substitution,
4. dauerhafte Nicht-Teilnahme des Substituierten an ggf. erforderlichen
psychosozialen Betreuungsmaßnahmen,
5. Festlegung der Kommission nach § 9, dass die Voraussetzungen des §
3 nicht oder nicht mehr vorliegen.
§ 9 Qualitätssicherung
(1) Die KVen richten fachkundige Kommissionen zur
Beratung bei der Erteilung von Genehmigungen für Substitutionsbehandlungen
nach § 2 sowie für die Qualitätssicherung und die
überprüfung der Indikation nach § 3 durch Stichproben im
Einzelfall (Qualitätssicherungskommissionen) ein. Die Kommissionen
bestehen aus sechs Mitgliedern. Drei in Fragen der Opiatabhängigkeit
fachkundige Mitglieder werden von der KV benannt, darunter sollen zwei
Ärzte mit besonderer Erfahrung in der Behandlung von Suchtkranken sein.
Zwei in Drogenproblemen fachkundige Mitglieder werden von den
Landesverbänden der Krankenkassen und ein in Drogenproblemen fachkundiges
Mitglied von den Verbänden der Ersatzkassen benannt. Die Krankenkassen
können sich in den Kommissionen auch durch Ärzte des Medizinischen
Dienstes der Krankenkassen vertreten lassen.
(2) Die Qualitätssicherungskommission kann von Vertragsärzten zu
allen Problemen der qualifizierten substitutionsgestützten Behandlung (z.
B. Indikationsstellung, notwendige Begleitmaßnahmen,
Beigebrauchsprobleme, Indikation zum Abbruch) mit der Bitte um Beratung
angerufen werden.
(3) Die Kommissionen nach Absatz 1 haben die Qualität der
vertragsärztlichen Substitution und das Vorliegen der Voraussetzungen des
§ 3 durch Stichproben im Einzelfall zu überprüfen. Pro Quartal
sind mindestens 2% der abgerechneten Behandlungsfälle im Rahmen einer
Zufallsauswahl zu prüfen. Auf Beschluss der Kommission können
zusätzlich einzelne Ärzte für eine umfangreichere Prüfung
ausgewählt werden. Zum Zweck der Prüfung der Qualität der
substitutionsgestützten Behandlung haben die substituierenden Ärzte
auf Verlangen der KV die patientenbezogenen Dokumentationen gemäß
§ 7 mit den jeweiligen umfassenden Therapiekonzepten und den
Behandlungsdokumentationen mit Zwischenergebnissen der
Qualitätssicherungskommission vorzulegen.
(4) Bei allen Substitutionsbehandlungen gemäß § 3 Abs. 3 sowie
bei allen Substitutionsbehandlungen mit Codein oder Dihydrocodein hat der Arzt
unverzüglich mit der Aufnahme der Substitutionsbehandlung die
patientenbezogenen Dokumentationen gemäß § 7 mit den jeweiligen
umfassenden Therapiekonzepten sowie den Behandlungsdokumentationen an die
Qualitätssicherungskommission zur Prüfung zu übermitteln.
(5) Bei allen Substitutionsbehandlungen gemäß diesen Richtlinien hat
der Arzt mit Ablauf von jeweils 5 Behandlungsjahren die patientenbezogenen
Dokumentationen gemäß § 7 mit den jeweiligen umfassenden
Therapiekonzepten und den Behandlungsdokumentationen an die
Qualitätssicherungskommission zur Prüfung zu übermitteln.
(6) Die Qualitätsprüfungen nach Absatz 3 bis 5 umfassen die
Einhaltung aller Bestimmungen dieser Richtlinien.
(7) Das Ergebnis der Überprüfung ist dem substituierenden Arzt
schriftlich mitzuteilen, er ist ggf. auf Qualitätsmängel in der
Substitution hinzuweisen. In gemeinsamer Beratung ist darauf hinzuwirken, dass
diese Mängel behoben werden. Gelingt es trotz wiederholter Anhörung
und Beratung des Arztes nicht, eine richtliniengemäße
Substitutionsbehandlung zu erreichen, kann dem Arzt die Genehmigung zur
Durchführung und Abrechnung der Substitution durch die KV entzogen werden.
(8) Die Qualitätssicherungskommission erstattet alle zwei Jahre der KV und
den Landesverbänden der Krankenkassen einen zusammenfassenden Bericht
über die Ergebnisse ihrer Arbeit und die bisherigen Erfahrungen mit der
Substitutionsbehandlung in ihrem Zuständigkeitsbereich.
§ 10 Genehmigung der Leistungserbringung,
Genehmigungsumfang
(1) Die Durchführung und Abrechnung der Substitution im Rahmen der
vertragsärztlichen Versorgung setzt eine Genehmigung der KV nach § 2
für den substituierenden Arzt voraus.
(2) Der Antrag des Arztes auf Genehmigung zur Durchführung und Abrechnung
der Substitution ist an die zuständige KV zu stellen. Die erforderlichen
Nachweise (z. B. Zeugnisse und Bescheinigungen) über die fachliche
Befähigung gemäß § 2 sind dem Antrag beizufügen.
Über den Antrag entscheidet die KV.
(3) Die Genehmigung zur Durchführung und Abrechnung der Substitution ist
zu erteilen, wenn aus den vorgelegten Zeugnissen und Bescheinigungen
hervorgeht, dass die in § 2 genannten Voraussetzungen an die fachliche
Befähigung erfüllt sind.
(4) Die Anzahl der vertragsärztlich durchzuführenden
Substitutionsbehandlungen sind je Arzt begrenzt. Ein Arzt soll in der Regel
nicht mehr als fünfzig Opiatabhängige gleichzeitig substituieren. Die
KV kann in geeigneten Fällen zur Sicherstellung der Versorgung den
Genehmigungsumfang erweitern.
§ 11 Übergangsregelung
(1) Substitutionen, die zum Zeitpunkt des
Inkrafttretens dieser geänderten Richtlinien bereits seit mindestens 5
Jahren durchgeführt werden, sind innerhalb eines Zeitraumes von 24 Monaten
nach Inkrafttreten dieser Richtlinien einer Überprüfung
gemäß § 9 Abs. 5 zu unterziehen.
(2) Vertragsärzte, die nicht über eine Genehmigung nach § 2
verfügen, dürfen die Substitution auf der Grundlage von § 5 Abs.
3 BtMVV nach Genehmigung durch die zuständige Kassenärztliche
Vereinigung bis zum 31. Dezember 2003 ausüben. Danach müssen sie eine
Genehmigung nach § 2 nachweisen, wenn die Substitutionsbehandlung auch
künftig zu Lasten der GKV erbracht werden soll.
Die vorstehenden Änderungen der Anlage A der BUB-Richtlinien treten am Tage nach der Bekanntmachung im Bundesanzeiger in Kraft.
Bonn, den 28. Oktober 2002
Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen
Der Vorsitzende
J u n g